MFG - Herr Burger sucht das Glück
Herr Burger sucht das Glück


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St. Pöltens gute Seite

Herr Burger sucht das Glück

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2017

Als ich Anton Burgers Buch „Spuren zu einem richtigen im falschen Leben“ zum ersten Mal in Händen halte, kommt mir unvermittelt die Kennmelodie einer Zeichentrickserie aus Kindheitstagen in den Sinn: „Herr Rossi sucht das Glück“.

Schon damals wurde den Kleinsten vermittelt, dass es mit dem Glück, mit dem Sinn im Leben – denen Herr Rossi in jeder Serie nachjagt – offensichtlich eine gar nicht so einfache Sache ist. Der dreifache Doktor (Betriebswirtschaft, Jus und Theologie) Anton Burger, St. Pöltner mit Lehrstuhl an der Universität Eichstätt-Ingolstadt, hat sich nun in einem ganzen Buch mit dieser Frage auseinandergesetzt. Wir trafen ihn an einem beschaulichen Sommervormittag zum philosophischen Plausch im Café Schubert.
Irgendwie hat man den Eindruck, ihr Buch kommt gerade recht – wir leben in einer Zeit der Verunsicherung. War der Erscheinungszeitpunkt bewusst gewählt?
Also grundsätzlich gehe ich mit dem Gedanken zu dem Buch schon sehr lange schwanger. Ich komme ja von der Wirtschaft her, und da ist Adam Smith Begriff des Eigennutzes ein zentraler, von dem eine Brücke rasch zum Egoismus führt. Mich hat u.a. die Frage beschäftigt, was dies in einer Marktwirtschaft wie der unseren für das Zusammenleben der Menschen bedeutet, was also in einer Gesellschaft des Eigennutzes passiert.

Wobei es im Buch ja im Kern um – wenn man so will – den Sinn des Lebens geht?

Das zentrale Thema ist, wie gestalten wir unser Leben angesichts der Widrigkeiten, die es bereithält, und in dem Wissen, dass es ein beschädigtes ist. Theodor W. Adorno hat diesbezüglich den Spruch geprägt, dass es kein richtiges Leben im falschen geben kann. Meine Motivation war aufzuzeigen, was die Geschichte, die Philosophie, die Theologie, aber auch die Literatur zu dieser Frage, die wohl die älteste und bedeutendste der Menschheit darstellt, bislang hervorgebracht haben. Das ist ja eine wahre Fundgrube an Gedanken, die ich im Buch um meine persönlichen Überlegungen ergänzt habe.

Ist dieser Gedanke vom a priori beschädigten Leben nicht ein sehr pessimistischer?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Die Gnostiker etwa rückten die Aussichtslosigkeit, Abgründigkeit des Lebens ins Zentrum und sahen in einem schnellen Exitus einen Ausweg, weil damit die Hoffnung auf ein Paradies danach einhergeht. Aber das kann es natürlich nicht sein. Adornos Spruch vom falschen Leben wiederum ist eine semantische Spitze. Tatsächlich muss man Richtiges-Falsches im Leben als Kontinuum begreifen – wobei man durch aktives Handeln dem Leben sehr wohl Positives abgewinnen kann. Im Existenzialismus – der das Leben als absurdes begreift – ist daher dennoch die Forderung „Gestalte dein Leben trotz aller Widrigkeiten so, dass es lebenswert, bejahenswert ist“.
Wobei heute ja teils weniger die Begrifflichkeit „Sinn“, als vielmehr „Glück“ im Zentrum zu stehen scheint – da wird ein regelrechter Druck zum „Glücklichsein“ ausgeübt.
Glück ist aber nichts Dauerhaftes. Wenn, dann geht es eher um Momente des Glücks. Tatsächlich orte ich da vielfach ein fast manisches Positivdenken in unserer Gesellschaft – nur, so ist das Leben nicht. Und wer sich nur ichbezogen dem Hedonismus hingibt und die Herausforderungen des Lebens negiert, wird scheitern. Das Leben ist polar.
Und voller Angst.
Wobei Angst eine wichtige biologische Funktion hat und der Bewältigung von Bedrohungen dient. Angst kann man ja nicht einfach weg reden, sie hat oft einen konkreten Hintergrund: die Angst vor Krankheit, vor Tod, vor sozialem Abstieg, vor Jobverlust, dem Verlust geliebter Menschen. Es geht aber darum, wie ich mit der Angst umgehe. Das heißt, ich muss sie in einem ersten Schritt einmal anerkennen und in Folge aktiv in mein Leben integrieren. Wovor habe ich also ganz konkret Angst, was macht sie mit mir, und wie kann ich ihr begegnen.

Das heißt, sich der Angst vor der Angst hinzugeben, ist auch kein Ausweg.

Die Aufklärung geht deshalb von einem evolutionären Weg aus, der aktives Handeln ins Zentrum stellt. Ich finde, das wird großartig im kleinen Prinzen auf den Punkt gebracht, wo es heißt, dass man zwei, drei Raupen in Kauf nehmen muss, wenn man einen Schmetterling erleben möchte. Kurzum: Ja, es gibt Enttäuschungen, Gefahren, Niederlagen, Schicksalsschläge – wobei Viktor Frankl sagt, Schicksal ist nicht das, was uns zustößt, sondern erst das, was wir daraus machen – aber deswegen soll man sich vom Weg, etwas Schönes zu entdecken, das ebenso besteht, nicht abhalten und entmutigen lassen!
Was ist mit „aktives Handeln“ gemeint?
Das heißt, ich muss achtsam und sorgsam mit dem ICH, dem DU und dem ETWAS umgehen. In dieser Trias gilt es die richtige Balance zu finden. Wichtig ist zunächst, sich selbst zu akzeptieren, wie man ist. Nur in dieser Selbstliebe bin ich auch zum Du, zur Nächstenliebe fähig. Das Etwas wiederum können vielfältige Sachen sein: Hobbies, die Arbeit, soziales Engagement etc., die sinnstiftend wirken. Wobei dieser Sinn immer etwas Subjektives ist. Das ist nichts, was sozusagen auf der Straße liegt, sondern Sinn muss man finden, ja er-finden. Frankl spricht diesbezüglich vom Sinn IM Leben, IN wenigstens einzelnen Lebenssituationen, nicht vom Sinn DES Lebens, weil das wäre schon wieder eine rückwärtsgewandte Perspektive, im Grenzfall vom Sterbebett aus.
Manchmal beschleicht einen aber der Eindruck, dass viele über die Selbstliebe nicht hinauskommen.
Thomas Hobbes hat den Spruch geprägt „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“. In unserer westlichen Gesellschaft sind wir aber von der Aufklärung geprägt, die sich auf Freiheit, Vernunft, Verantwortung beruft und die Würde des Menschen ins Zentrum rückt. Kant sagt, der Mensch ist Zweck an sich, und zwar unabhängig von Leistung, Hautfarbe, Religion etc. Das heißt, jeder Mensch hat Würde an sich. Das ist unser Selbstverständnis. Jede Ideologie, jede Religion, jede Heilslehre, die dies in Abrede stellt und relativiert, die Unterschiede macht und sozusagen der eigenen Elite eine zweite, dritte Klasse von Menschen gegenüberstellt, die also für sich einen absoluten Exklusivitätsanspruch reklamiert, entwertet die anderen Menschen! Das ist gegen den Sinn der Aufklärung, weil ich damit anderen Gewalt antue – diese Denkweise hat in der Geschichte oft zu Krieg und Gräueltaten geführt.

Angesichts antidemokratischer Entwicklungen wie in Ungarn, Polen oder der Türkei hegt man aber an oben genanntem Selbstverständnis mitunter so seine Zweifel.

Der Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das Theorem formuliert, dass der moderne säkularisierte Staat in Voraussetzungen lebt, die er nicht garantieren kann. Das heißt, es beruht auf Konsens, dass etwa das Recht akzeptiert wird, dass man sich wie in unseren Breiten einem gemeinsamen Ethos und humanistischen Werten verpflichtet fühlt. Wenn man dieses Selbstverständnis in Frage stellt, kann es aber mit dem Humanismus schnell vorbei sein. Unsere Freiheit, unsere Werte sind nicht, auch wenn wir es glauben, selbstverständlich. Wir müssen sie immer wieder aufs Neue erkämpfen.

Hatte dann aber nicht doch Schopenhauer recht, dass sich die Menschheit im Grunde genommen nicht weiterentwickelt – auch wenn es gegenteilige Ansichten gibt?

Heute herrscht vielfach die Meinung, fußend auf Statistiken, dass der Mensch – trotz Shoa, trotz Weltkriegen, trotz totalitären Regimen, trotz aktuell IS – besser geworden sei. Dies wird aber oft in relativer Sichtweise zur Bevölkerungszahl eruiert. Subjektiv, für den einzelnen, wird die Einsicht von einer besseren Welt aber oft auch schwer Lügen gestraft.
Schopenhauers Geschichtspessimismus wiederum fußte auf dem Ansatz, dass das Leben zwar voller Leid, Schmerz und Tod ist, aber noch immer besser als Sterben, das quasi noch grauslicher ist. Und deshalb hat er bei aller Negativität dennoch eine Ethik des Mitleides abgeleitet – es geht bei ihm also um eine Hinwendung zum Du, das ebenfalls bedroht ist.
Dass sich der Mensch de facto ändern kann, davon war schon Aristoteles überzeugt, und die heutige Genetik und Epigenetik haben es mittlerweile auch nachgewiesen. Obendrein ist das Gehirn dank seiner Plastizität ein Leben lang „gestaltbar“, das heißt, es gibt keine Grunddisposition, die ein Leben lang nicht veränderbar wäre. Das macht man sich mittlerweile etwa im Strafvollzug zunutze, wo Gewaltverbrecher mit entsprechenden Programmen therapiert werden.
Das klingt aber fast beängstigend, ja totalitär, denn wer bestimmt – um es auf die Gesamtgesellschaft umzulegen – wie man als Mensch „richtig“ ist.
Wir kennen dieses Muster aus dem revolutionären Weg, der den Menschen umbauen, die Welt komplett ändern und eine neue Gesellschaftsordnung schaffen möchte. Man selbst hat die Wahrheit, die anderen liegen falsch, haben sich meinem Willen zu beugen – solche Heilslehren führten und führen zu furchtbaren Gräueltaten und Kriegen, weshalb der revolutionäre Weg aus dem falschen Leben letztlich immer zum Scheitern verurteilt ist und der evolutionäre – auf individueller und auf gesellschaftlicher Ebene – dem Menschen und seiner Würde adäquat erscheint

Was einmal mehr für das Konzept der Demokratie spricht?

Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass es in einer komplexen Welt wie der heutigen keine einfachen und eindeutigen Antworten mehr gibt. Gerade die repräsentative Demokratie, wie wir sie kennen, kann da einen Puffer zwischen Extremen bilden und somit radikale Wege abfedern. Es geht letztlich um Rahmenbedingungen, nach denen wir unser Leben ordnen, und die bedarf es in allen Bereichen, etwa auch der Wirtschaft. Aus diesem Blickwinkel bestehen im Hinblick auf die Globalisierung etwa zu wenige Spielregeln, was zu Ungerechtigkeit führt. Würde man etwa allein in der Frage des Transportes Kostenwahrheit schaffen, könnten schon viele Globalisierungsverwerfungen gedämpft werden. Dazu bedarf es aber Willens und Verantwortung.

Wobei unsere Verantwortung endenwollend scheint, überhaupt bei so entfernten Regionen wie, sagen wir zum Beispiel, Afrika, auch wenn „unser“ System dortige Probleme unmittelbar mitverursacht.

In einer aufgeklärten Gesellschaft hat man aber Verantwortung auf mehreren Ebenen: Natürlich einmal gegenüber dem Ich – man muss also auf sich selbst schauen, darf nicht Ich-vergessen sein – ebenso aber auch gegenüber dem Du. Das heißt man muss sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen, weil man Mitverantwortung an der Ordnung trägt, die sich die Gesellschaft gibt. Dazu gehört übrigens auch zur Wahl zu gehen. Habermas spricht von der kommunikativen Vernunft, d.h. es ist wichtig, die Meinung frei zu äußern, kritisch zu reflektieren, aber auch seine eigenen Aussagen zur  Disposition zu stellen.
Dann gibt es eine Handlungsethik, man könnte auch von Haltung sprechen. Da sind wir bei Kants kategorischem Imperativ – ich muss mein Handeln reflektieren und fragen, ob meine Handlungen grundsätzlich verallgemeinerbar sind. Was würde also passieren, wenn alle so handelten wie ich?
Schließlich geht es in den einzelnen Lebenssituationen um Achtsamkeit und Sorge für das Ich, ein DU und die Welt, auch im weitesten Sinne – kaufe ich z.B. Fairtrade, pass ich auf die Umwelt auf, vermeide ich in Kinderarbeit produzierte Artikel etc. Wie verhalte ich mich also ganz konkret und was löst dieses Handeln aus.
Mit der Achtsamkeit scheint es aber nicht immer allzu weit her zu sein. Sie gehen in Ihrem Buch auch auf die „Rüpelhaftigkeit“ ein, die wir dieser Tage etwa wieder offensichtlich im Umgang der Politiker miteinander erleben.
Der Umgang miteinander hat definitiv Luft nach oben. Wobei das Rüpelhafte schon im Kleinen, im Alltag beginnt – also bei jedem von uns. Da beschleicht einen mitunter der Eindruck, es herrscht der Kampf jeder gegen jeden – schauen wir etwa mehr oder weniger übliche Manieren an, das Verhalten im Straßenverkehr oder im Berufsleben, die Wortwahl in den sozialen Medien etc. Da ist vieles von Rücksichtslosigkeit geprägt, was auch mit dem allesdurchdringenden Primat „was bringt es mir“ zu tun hat. Auch in der Politik ist dies häufig zu konstatieren, und da wird es besonders gefährlich. Schauen wir uns nur an, wie Politiker in der Ersten Republik miteinander umgegangen sind – es gab Diffamierungen, Lächerlichmachen des Gegenübers, regelrechtes Niedermachen – man hat dem anderen sogar seine Würde, sein Menschsein abgesprochen. Solche Tendenzen orte ich auch heute wieder in zunehmendem Maße, und damit begeben wir uns auf dünnes Eis, wie die Geschichte lehrt. V.a. je rauer, je brutaler die Wortwahl ist, umso kälter wird die Gesellschaft insgesamt – und in einer solchen fühlt sich keiner zuhause.
Was empfehlen Sie den Menschen, um „Sinn“ zu finden?
Gestalte dein Leben trotz aller Widrigkeiten so, dass es bejahenswert und wertvoll ist. Dazu bedarf es aktiven Tuns, einer acht- und sorgsamen Hinwendung auf das Ich, das Du und das Etwas. Dadurch kann man vor allem in einzelnen Lebenssituationen Momente des Glücks und subjektiven Sinn auf der körperlich-sinnlichen, auf der emotion­ialen und auf der geistigen Ebene, vielleicht auch auf jener der Transzendenz  erfahren – etwa mittels einer Religion, die ein Angebot an Trost und Kraft bereithalten kann, aber kein Absolutum sein darf. Letztlich geht es darum, das Leben zu leben, und das in dem Wissen – um auf den Kleinen Prinzen zurückzukommen – dass man auch zwei, drei Raupen aushalten muss, also nicht gleich verzagen und aufgeben darf, wenn man einen Schmetterling erleben möchte.
 Sinn ist nichts, was auf der Straße liegt, sondern Sinn muss man er-finden.
Gestalte dein Leben trotz aller Widrigkeiten so, dass es bejahenswert ist.